Freilandpädagogik – Kinder wollen draußen sein

Freilandpädagogik – Kinder wollen draußen sein

Außenräume werden häufig nur bei gutem Wetter genutzt und oft wird Kindern dabei nicht selten eine begrenzte Spielzeit vorgegeben, denn der Aufenthalt im Freien ist in aller Regel lediglich Teil der Tagesplanung insgesamt. Das wird dann gerne „Freispielzeit“ genannt und klingt fast schon nach einer besonderen Gunst, die Kindern entgegengebracht wird. Ich halte das für sehr bedenklich. Begrenzte Freiräume begrenzen nicht nur die Entwicklung wichtiger Spielabläufe und wichtige Erfahrungen in der Natur, sie begrenzen auch den natürlichen Bewegungsdrang und den Forschergeist der Kinder. Überall dort, wo wir auf allzu starre zeitliche Strukturen verzichten und Kinder mitwirken lassen, lässt sich gut beobachten, wie sehr es Kinder nach draußen drängt. Ihr natürlicher Bewegungsdrang regt aber nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Beweglichkeit an. Insbesondere der Aufenthalt in naturnahen Außenräumen hat erwiesenermaßen zahlreiche positive Einflüsse auf die psychische, physische und soziale Selbstregulation – nicht nur bei Kindern. All das sollte für uns Pädagog/innen Grund genug sein, dem Draußensein in Naturräumen einen deutlich höheren Stellenwert zuzuerkennen.

„Natur ist für Kinder so essenziell wie gute Ernährung. Sie ist ihr angestammter Entwicklungsraum. Hier stoßen die Kinder auf vier für ihre Entwicklung unverhandelbare Quellen: Freiheit, Unmittelbarkeit, Widerständigkeit, Bezogenheit. Aus diesen Erfahrungen bauen sie das Fundament, das ihr Leben trägt.“ (S.9)

Renz-Polster, Herbert und Hüther, Gerald (2013). Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Weinheim und Basel: Beltz

 

Neugier ist die treibende Kraft

In Naturräumen erwacht Spielfreude, Interesse und Neugier, Entdeckerlust und Wagemut. Dabei kommen die Kinder mit vielerlei biologischen, physikalischen und mathematischen Phänomenen in Berührung. Kinder wollen nicht nur entdecken und erobern, sie müssen es, sie werden von einem ganz natürlichen Impuls getrieben, um ihren Platz in der Welt zu finden. Sie wollen sich aktiv mit Orten und Dingen auseinandersetzen, sie lernen durch Handeln und Ausprobieren. Hier ist die Neugier und der Spieltrieb der Kinder ein starker und wichtiger Impuls, sich dem Unbekannten zu nähern und sich eine Welt zu erschließen, die schon im Moment dieses Zugriffs ihre eigene Welt zu werden beginnt.

Die Vielfalt und Variabilität unmittelbarer Erlebnisse und Erfahrungen in Naturräumen, über den Jahreslauf hinweg führen bei Kindern zu einer Vielzahl von Fragen, nicht zuletzt, weil sie mit den unterschiedlichsten Pflanzen, Tieren, Personen, Phänomenen und Dingen in Berührung kommen. Was pädagogische Begleiter/innen brauchen, sind eigenes Interesse und Freude an der Natur und Lust, mit den Kindern zu forschen und sich mit deren Fragen auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit den Kindern nach Antworten zu suchen und mit ihnen zu lernen, erweitert den Horizont für alle Beteiligten.

 

Die Begeisterung mit den Kindern teilen

Es geht um nicht weniger als die Bereitschaft und Fähigkeit, der Neugierde der Kinder zu folgen und mit überraschenden Situationen umgehen zu können. Naturräume bieten unendlich viele Gelegenheiten für solche Überraschungen. Und nicht wenige Entdeckungen, die Kinder dabei machen, sind so etwas wie Schätze, die die Kinder bergen wollen, Dinge, die ihnen wichtig und wertvoll sind. Und sie engagieren sich vor allem dann, wenn sie eine Atmosphäre von Wohlbefinden und Sicherheit spüren. In so einer Atmosphäre werden positive Energien freigesetzt und die Kinder aktivieren eine Vielzahl unterschiedlicher Potentiale. Das betrifft auch uns Pädagog/innen: Lassen wir uns von der Neugierde, der Begeisterung und der Entdeckerlust der Kinder anstecken, erleben auch wir unsere Arbeit als sinnvoll und befriedigend. Auch uns öffnen sich spannende Erlebnisräume – Räume und Anregungen, die den pädagogischen Alltag in jeder Hinsicht erweitern und bereichern.

 

Edeltraud Prokop, Erzieherin, Kinderkrankenschwester, Freilandpädagogin, leitete das städt. Kinderhaus und Konsultationseinrichtung Felicitas-Füss-Straße in München und begründete zusammen mit ihrem Team die sogenannte Freilandpädagogik. Autorin und Referentin zu verschiedenen pädagogischen Themen.